Das Gefühl des Meeres
- The Diving Biologist
- 9. Sept. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. März 2023
Das Gefühl des Meeres... Das Gefühl ein Teil von etwas komplett anderem zu sein. Dazu zu gehören und doch gleichzeitig nur ein Beobachter zu sein.
Wie fühlt es sich an zu tauchen? Wie fühlt es sich für mich an zu tauchen? Das wollte meine Schwester und meine Mama wissen und jetzt sitze ich hier und denke darüber nach. Ja, wie fühlt es sich denn an? Ich denke an meine Tauchgänge und spüre in mich, um mich zu erinnern und als erstes ist da ein Gefühl; Vorfreude! Zu wissen, dass es gleich losgeht, während man seine Ausrüstung zusammenschraubt und alles noch einmal ausprobiert. Man zwängt sich in seinen Neopren und es fängt an warm zu werden, je nachdem von wo aus es losgeht, muss man zum Boot laufen und die Ausrüstung transportieren. Und in jeder Sekunde steigt die Vorfreude. Gleich geht's los! Gleich bin ich wieder Zuhause! Und mein Herz schlägt schneller. Paradoxerweise wird man auch ruhiger. Du weißt was du tun musst, du kennst die Gefahren um dich herum und weißt, dass du gefasst bleiben musst. Das einzige was dir im Wasser ernsthaft gefährlich werden kann, ist die eigenen Unwissenheit und resultierende Panik. Also entspannt bleiben und kühlen Kopf bewahren.
Schon ist alles aufs Boot geladen und man schießt übers Meer. Wo geht es wohl heute hin? Was werde ich heute sehen? Welches Abenteuer darf ich heute erleben? Wenn ich auf einem Boot sitze bin ich immer am grinsen. Vor allem wenn wir über die Wellen springen und mir der Wind durch die Haare weht. Dann ist alles gut und ich spüre wie mich das Glück durchströmt.
Am Spot angekommen wird alles fertig gemacht. Man bespricht wo man ist, wie man taucht, schaut sich die Strömung an und dann wird alles angelegt. Der Kopf ist ruhig, das Herz aufgeregt und man geht routiniert alles durch. Neopren ist zu, Haube aufgesetzt, Tauchcomputer am Arm? Die Gewichte angelegt und die Maske ausgewaschen. Das Jacket wird angezogen und ich fühle mich immer, als würde ich ein Jetpack aufsetzen. Klack, klack, alle Verschlüsse sind zu, alle Gurte festgezogen und jetzt nochmal alles ausprobieren. Atemregler funktioniert, Oktopus auch. Perfekt! Dann noch schnell die Flossen an und Brille auf. Jetzt geht's endlich richtig los! Hinter mir ist alles frei? Super, dann kann ich mich fallen lassen. Der Blick schweift über die Flossen, hoch in den Himmel und wusch! Überall ist Wasser, die Welt um mich herum ist verschwunden. Ich spüre das Wasser, spüre die Wellen, schmecke das Salz, treibe und warte. Warte auf meinen Buddy und überlege was wohl heute alles passieren wird. Und da, ein zweites mal macht es platsch. Mein Buddy ist da, wir schauen uns an und sehen das Glück in unseren Augen. Los, los, los schreit mein Herz.
Und wir tauchen ab.
Die Luft, die mich oben gehalten hat, strömt aus meinem Jacket. Ich achte auf meine Atmung. Atme tief aus und kurz ein. Meine Augen sehen den Himmel und die Oberfläche des Meeres, bis ich diese Grenze überschreite. Um mich herum nichts außer Wasser und ich sinke, sinke und sinke immer tiefer ins unbekannte Blau. Mein Herzschlag beruhigt sich und ich spüre den Druck auf meinen Ohren. Immer wieder Druckausgleich und der Blick auf die Uhr. 10 Meter, 20 Meter, 30 Meter... Das Wasser wirkt ölig und wird schlagartig kalt. Doch ich kann die Kälte nur in meinem Gesicht und meinen Händen spüren, alles andere ist vom Neopren geschützt und ich bin zuhause. 30 Meter Wasser über mir und unendliche Weiten vor mir.
Ich sehe meinen Buddy und wir fragen uns 'ist alles okay?' - 'alles ist okay'. Wir machen uns auf den Weg, beginnen unsere Reise und es gibt nur noch uns und das Meer.
Auf der einen Seite; Felsen, Korallen, Leben. Hier gibt es so viel zu sehen, wenn man denn gelernt hat es auch zu sehen. Viele Organismen sind wahre Künstler darin sich zu verstecken und eins mit ihrer Umgebung zu werden. Wer da nicht richtig hinsieht, wird nichts sehen außer Gestein.
Jedes Mal bin ich aber überrascht wie viel und wie vielfältig diese mir noch unbekannte Welt ist. Wie bei einem Suchbild schweifen meine Augen über jeden Zentimeter und ich treibe langsam voran. Ein Flossenschlag, dann wieder Ruhe. Ich muss meine Energie und damit meinen Sauerstoff achtsam verwenden. Je ruhiger ich bin, um so mehr Zeit darf ich hier verbringen. Ich verliere mich in den Details des Meeres und mein Herz macht einen Sprung, wenn meine Augen was erblicken. Da! Ein Drachenkopf! Schaut alle her, ich hab was entdeckt! Mein Buddy ist knapp aus meiner Reichweite, also ein weiterer Flossenschlag und ich packe sie an der Flosse. Ich zeige mit Zeige- und Mittelfinger auf meine Augen und dann auf den Drachenkopf - sie her was ich gefunden habe. Wir schweben und beobachten. Nie kann ich mich sattsehen, aber wir müssen, wollen weiter. Es gibt noch so viel mehr. Kleine, bunte Schnecken sitzen auf Pflanzen, da ein Seestern und schau mal hinter dir! Ein Zackenbarsch! Jede Spalte wird durchleuchtet und die Muränen schauen dir entgegen. Kleine Polychäten filtern das Wasser nach Nahrung und kommt man ihnen zu nahe macht es zack! und sie ziehen sich ganz schnell zurück. Was für eine magische Welt. Wiesen aus Seegras vor mir, ich könnte mich vollkommen reinlegen und würde verschwinden. Ab und zu sieht man den Anfang dieser Wiesen uns sieht wie dick sie sind. 1 Meter, zwei, drei und ich weiß; Für 1 Meter an Rhizomschicht braucht die Pflanze 100 Jahre. Viel zu oft werden einfach Anker durch diese Felder gezogen und die stabilisierende Schicht zerstört. Ich bin dankbar für mein Wissen, welches mit der Zeit immer größer wird, doch es macht mich auch traurig. Mein Herz ständig in der Balance zwischen purem Glück und tiefster Traurigkeit.
Und dann mache ich es zum ersten Mal.
Ich wende meinen Blick von den Felsen und schaue ins offene Meer. Nichts außer blau um mich herum. Ein großer Schwarm Zweibrand Brassen schwimmt vorbei, überall kleine Mönchsfische und ich fühle mich klein, so klein. Ich bin ein nichts in diesem Meer, ich bin nur Besucher und darf genießen. Ich muss Retterin werden und behutsam sein. Ich will mein Leben nur dafür leben. Nur für das Meer. Ich gehöre vollkommen dir. Danke, dass ich daran teilhaben darf.
So viele Geheimnisse liegen vor mir, so viel Leben, so viel Geschichte und so viel Kraft.
Ich lebe und vergesse mich.
Doch auch davon muss ich mich losreißen. Ich habe nicht unendlich Zeit und die Suche und das Spiel geht weiter. Wo versteckt ihr euch? Was kann ich heute entdecken? Die Zeit vergeht wie im Flug und es ist nie genug. Die einzige Realität Unterwasser ist dein Tauchcomputer. Immerwieder checke ich die Daten. Wie tief bin ich? Muss ich eine Stopp einlegen (in der selben Tiefe bleiben für eine gewisse Zeit)? Wie lange sind wir schon hier? Und ständig der Blick auf den Barometer. Die Luft wird immer weniger und mein Buddy und ich informieren uns wie viel uns noch bleibt. Ein bisschen reicht es noch und wir tauchen und staunen. Von außen sehen wir aus wie die Ruhe selbst. Die Hände liegen still auf dem Bauch und nur die Beine machen ab und zu einen Schlag, doch die Augen - die Augen funkeln. Naja, und ab und zu hört man von mir ein freudiges Quitschen, wenn was tolles zu sehen ist. Ich kann mich einfach nicht zurückhalten.
Es ist Zeit. Die Barometer zeigen nur noch 50 Bar an. Es ist Zeit aufzusteigen. Langsam geht es nach oben und der Kopf ist ganz bei der Sache. Ein stetiger Blick auf den Computer und stopp bei 5 Metern. Jetzt heißt es die letzten drei Minuten zu genießen. Auch die gehen viel zu schnell vorbei. Der letzte Sicherheitsstopp ist fertig und es geht wieder an die Wasseroberfläche. Der Kopf durchstößt das Wasser und pfffft. Das Jacket wird vollkommen aufgepumpt. Man treibt, nimmt den Atemregler aus dem Mund und die Maske von den Augen und da ist es wieder. Das Grinsen im Gesicht. Wie schön es war wieder Zuhause zu sein. Was für ein Abenteuer, was für ein Gefühl! Nichts vergleichbares gibt es für mich.
Ich kann es kaum erwarten wieder zu kommen. Bis bald mein geliebtes Meer, danke für alles.
Eine berührendes Bild zeichnest Du da. Welch ein Genuss zu lesen - welches Glück für Dich.
Jede Zeile schäumt über vor Liebe zum Meer. Ich kann Dich so gut verstehen. Danke für Deine Hommage ans Meer.